Wir nähern uns mit großen Schritten, der antifaschistischen Demonstration am 28.03.2020 um 14 Uhr an der Haltestelle Kampstraße Dortmund. Von Heute an, sind es noch genau drei Wochen bis wir uns auf der Straße sehen und gegen rechte Gewalt in Erinnerung an Thomas Schulz demonstrieren. Aus diesem Grund haben uns überlegt, den ungekürzten Aufruf nicht auf einmal zu veröffentlichen, sondern euch ab Heute jeden Samstag bis zur Demonstration einen Teil des Textes zu präsentieren.
Nichts und niemand ist vergessen! – Aufruf zur antifaschistischen Demonstration gegen rechte Gewalt in Erinnerung an Thomas Schulz
Am 28. März jährt sich der Mord an Thomas Schulz zum 15. Mal. Wir nehmen dies zum Anlass, an diesem Tag gegen rechte Gewalt zu demonstrieren und unsere Solidarität mit den Opfern dieser Gewalt zum Ausdruck zu bringen.
Wir erinnern uns
Dortmund, 28 März 2005: Um kurz nach 19.00 Uhr traf der damals 17-jährige Neonazi Sven Kahlin an der U-Bahn-Station Kampstraße auf eine Gruppe Punks. Nach einem Wortgefecht wollte einer von ihnen, Thomas Schulz, die rechten Beleidigungen von Kahlin nicht unkommentiert lassen und folgte ihm die Rolltreppen runter an das U-Bahn-Gleis. Dort zog Kahlin plötzlich ein Messer und stach ihm mit erheblicher Wucht ins Herz. Thomas Schulz verstarb wenig später im Krankenhaus im Alter von 31 Jahren.
Der Mord kann als die Folge einer damals eskalierenden Gewalt durch Neonazis in Dortmund betrachtet werden, die auf diese Weise versuchten, ihre Machtphantasien in die Tat umzusetzen. Der damals frisch gegründete »Nationale Widerstand Dortmund« zeichnete sich zu dieser Zeit und auch in den Jahren danach durch eine Vielzahl von Angriffen auf Antifaschist*innen und linke Kulturprojekte verantwortlich. Die »Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld«, zu der auch Kahlin gehörte, trat in der Regel noch hemmungsloser auf und fiel insbesondere durch unberechenbare Gewalttaten auf. Der Mord an Thomas Schulz wurde dementsprechend in der Nazi-Szene verherrlicht und glorifiziert, so wurden beispielsweise Plakate mit der Aufschrift »Antifaschismus ist ein Ritt auf Messers Schneide« und dem Bild eines blutigen Messers verklebt. Der Mörder selbst wurde zwar verurteilt, ein politischer Charakter der Tat jedoch durch das Gericht negiert. Thomas Schulz ist daher kein offiziell anerkanntes Todesopfer rechter Gewalt. Ein Skandal angesichts der deutlich zu Tage tretenden rechten Ideologie Kahlins und zugleich ein Sinnbild für den laxen Umgang der Justiz mit rechter Gewalt in Dortmund, der damals Neonazis regelrechte Freifahrtscheine bescherte. Polizei und Stadtverwaltung standen dem in nichts nach: Das Nazi-Problem wurde ignoriert und verharmlost – ein Verhalten, das wesentlich zur Verfestigung neonazistischer Strukturen in Dortmund beitrug. Auch wenn sich mittlerweile der Blick geweitet hat, mahlen die Mühlen in Dortmund immer noch langsam: So wurden die Naziaufmärsche in der Nordstadt im vergangenen Jahr von der selbsternannten Zivilgesellschaft mehrere Wochen großzügig ignoriert – erst nach dem Anschlag in Halle sahen sich dann Vertreter*innen von Parteien, Gewerkschaften und Verbänden auch in der Pflicht, gegen die Aufmärsche zu protestieren.
So waren es schon 2005 vorrangig Antifa-Gruppen, die das Problem ernst nahmen. Kurz nach dem Mord an Thomas Schulz demonstrierten rund 4000 Antifaschist*innen in Dortmund. Seither organisierten Antifa-Gruppen zum Todestag jährlich eine antifaschistische Gedenkdemonstration, um auf das beständige Nazi-Problem und die damit verbundene Gewalt in Dortmund hinzuweisen. 2015 fand die vorerst letzte Gedenk-Demo statt, um diese nicht zum Selbstzweck werden zu lassen.
Längst kein »Alarmzeichen« mehr
Doch gegenwärtig müssen wir feststellen, dass nicht nur in Dortmund rechte Gewalt anhält, sondern sich seit 2015 auch bundesweit weiter Bahn bricht. Neben den kaum noch zählbaren Angriffen auf Geflüchtete und Linke verdeutlichten dies insbesondere die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz, der Nazi-Mord an Walter Lübcke sowie der rechte Terror in Halle und – während wir diesen Aufruf schreiben – der jüngste Anschlag in Hanau. Spätestens mit den rassistischen Mobs in Heidenau oder Freital wurde deutlich, dass Neonazis wieder offensiver auftreten und dabei auf eine allgemeine rassistische und nationalistische Mobilisierung aufsatteln konnten. Diese wurde auf der Straße von PEGIDA und im Parlament durch die »Alternative für Deutschland” maßgeblich befeuert. So phantasierte beispielsweise Lutz Bachmann bei einer PEGIDA-Demonstration im vergangenen Oktober vor einem johlenden Publikum darüber, als »Volksfeinde” und »Parasiten für das deutsche Volk« ausgemachte Personen in einen Graben zu werfen – ein offen vorgetragener Vernichtungswunsch, der letztlich von Täter*innen wie Tobias Rathjen in Hanau umgesetzt wird. Auch in bisher unorganisierten rechten Milieus ist eine Radikalisierung zu verzeichnen, die den Schritt zur Gewaltausübung kürzer werden lässt. Die allerorten aus dem Boden sprießenden rechten »Bürgerwehren« sowie die beständig bekannt werdenden Gruppen, die rechte Anschläge planen, sind ein Beleg hierfür. Zugleich schlagen wieder Täter*innen zu, die bereits in den 1990er Jahren politisch rechts sozialisiert wurden und sich nun durch das gegenwärtige Klima wieder bemüßigt fühlen, aktiv zu werden. Insgesamt lässt sich derzeit von einer fortschreitenden Barbarisierung von rechts sprechen.
Doch wie es schon bei der Selbstenttarnung des NSU breite Teile der Gesellschaft und erst recht die Behörden überraschte, dass Neonazis ihre Vernichtungswünsche auch tatsächlich in die Tat umsetzen, so erweckten ebenso bei den jüngsten Taten einige Aussagen den Eindruck, rechter Terror sei aus dem Nichts über Deutschland hineingebrochen. Während Annegret Kramp-Karrenbauer nach dem Anschlag von Halle von einem »Alarmzeichen“ sprach und damit sowohl die lange Entwicklung des Rechtsterrorismus als auch seine aktuelle Virulenz mit einem Wort unter den Teppich fegte, hätte Frank-Walter Steinmeier solche Taten nach dem NSU »für unvorstellbar« gehalten – ganz so, als würden Neonazis sich diesen Morden wieder besinnen. Noch immer wird an vielen Stellen überhaupt die Verwendung des Wortes »Terror« im Kontext rechter Gewalt vermieden.
Doch rechte Gewalt, auch in Form von Anschlägen, hat eine lange Geschichte in der Bundesrepublik und ist damit keineswegs neu. Bereits in den 1970/80er Jahren ereigneten sich schwere Attentate, die durch Neonazis verübt wurden. Seit 1990 sind knapp 200 Menschen durch rechte Gewalt gestorben, davon fünf allein in Dortmund. Schon seit vielen Jahren bringen Recherchen von Antifaschist*innen sowie Fachjournalist*innen beständig Informationen über rechte Gewalttäter*innen sowie rechtsterroristische Netzwerke, wie zum Beispiel Combat 18, ans Licht. Diese Fakten werden jedoch noch zu oft ignoriert und ihre Dimensionen verkannt. So scheint es, das weite Teile der Politik und Behörden einfach noch nicht die Tragweite rechter Gewalt erkannt haben oder auch nicht wollten. Erst langsam setzt sich hier die Erkenntnis durch, dass es ein massives Problem gibt.
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